Die Pädagogik Maria Montessoris

„Hilf mir, es selbst zu tun!“

… das ist es, was Kinder von Pädagogen brauchen. Ziel des Montessori-Pädagogik ist es, die jedem Kind angeborene Neugier zu bewahren, zu fördern und so ein Lernen zu ermöglichen, das Freude macht und nachhaltig ist, weil es auf eigenen Erfahrungen beruht. Dass stumpf auswendig gelernte Fakten bereits nach dem Test vergessen sind, weiß jeder aus seiner eigenen Schulzeit. Nur das, was wir selbst erfahren und mit Freude und Begeisterung tun, lernen wir nachhaltig. Das erkannte die italienische Ärztin und Pädagogin bereits vor 100 Jahren – durch Beobachtung kleiner Kinder. Inzwischen hat die Neurobiologie Maria Montessoris Erkenntnisse wissenschaftlich bestätigt.

Ganzheitliches Lernen

Maria Montessori ging davon aus, dass alles miteinander zusammenhängt, voneinander abhängig und aufeinander angewiesen ist. Jedes Lebewesen erfüllt mit seinem Sein eine ganz besondere Aufgabe. Der Mensch kann sich seiner Aufgabe bewusst werden und verantwortlich handeln. Er kann selbst entscheiden, wie er sich verhält und erkennen, welche Konsequenzen sein Verhalten hat.

Wenn Kinder frei und voller Neugier und Freude die Welt entdecken, erkennen sie die Wechselwirkungen und Zusammenhänge, in denen alles Leben existiert. Sie erfahren sich als Teil davon und lernen ihren Platz in dieser Welt kennen. Nach und nach übernehmen sie für sich selbst und unsere Welt ihren Anteil an Verantwortung. Sie wissen, dass Fehler passieren und es nichts gibt, wovor man Angst haben muss. Schon gar nicht, vor dem Scheitern. So können sie sich selbstbewusst und frei in einer von ständigem Wandel und großen Herausforderungen geprägten Zeit bewegen.

Freiarbeit

Nach Maria Montessoris Auffassung kann eine wahre und innere Freiheit nicht gegeben oder erobert werden, es kann sie nur jeder in sich selbst aufbauen – als ein Teil der eigenen Persönlichkeit. Das Streben des Kindes nach Unabhängigkeit und Selbstständigkeit ist daher Ausgangsposition. Anstelle von Interventionen und Beschränkungen, benötigt das Kind Freiraum, Zuwendung, Respekt und Ordnung zur Entwicklung innerer Freiheit. Diese Fürsorge muss im frühesten Alter beginnen, erkannte Maria Montessori. In dieser Zeit wird das Kind vor allem durch Impulse seiner Natur geleitet. Man sollte nicht warten, bis es das Vernunftalter erreicht, um ihm die Bedeutung und die Würde der Freiheit zu erklären. Deswegen ist die sogenannte „Freiarbeit“ ein wesentliches Prinzip des Montessori-Pädagogik

Die Kinder und Jugendlichen bestimmen in der Freiarbeit selbst ihr Thema und ihr Tempo, in dem sie lernen. Diese Form des Lernens nennt Maria Montessori »Freiarbeit«. In den höheren Klassen heißt es »Freie Studienzeit«. Die Freiarbeit in Kinderhaus und Grundschule bzw. die Freie Studienzeit in der Oberschule sind das Herzstück der Organisation des Schulalltages und umfassen den größten Teil des Tages. In diesem Zeitraum haben die Schülerinnen und Schüler Gelegenheit, selbst gewählten und vereinbarten Tätigkeiten nachzugehen, mit dem bereitgestellten Material zu arbeiten und dabei frei gewählte Kontakte zu den Mitschülern aufzunehmen. Die Kinder und Jugendlichen arbeiten zunehmend selbstständig, allein oder in Gruppen und so lange, wie sie es wünschen. Dabei lernen sie, miteinander zu arbeiten, zu reden, Probleme zu lösen, sich gegenseitig zu helfen, aufeinander Rücksicht zu nehmen und sorgfältig mit Lernmaterialien umzugehen.

Meist gehen der Freiarbeit Darbietungen durch die Pädagogen voraus. Sie zeigen und erläutern große Zusammenhänge (wie »Die Entstehung der Erde und des Kosmos«) oder auch einzelne Themen (wie »Das Wirken der Luft«) in Form von Darbietungen für eine Gruppe von Lernenden.

Innerhalb der Freiarbeit gibt es Gruppen- oder Einzeldarbietungen, individuelle Lernphasen, Präsentationen oder Gespräche mit der ganzen Gruppe. Auch Projekte oder Fremdsprachen sind Teil der Freiarbeit und initiieren ein ganzheitliches Lernen.

Polarisation der Aufmerksamkeit

Wenn Lernende sich Inhalte selbst gewählt haben, gibt es die Chance, Zeiten höchster Konzentration und Versunkenheit in ein Thema zu erleben. Äußere Störungen erreichen sie nicht. Wenn sie aufhören zu arbeiten, dann ganz unabhängig von den Ablenkungen um sie herum, zufrieden, als ob sie von einem erholsamen Schlaf erwacht wären. Das ist einer der Schlüssel der ganzen Pädagogik: diese kostbaren Augenblicke der Konzentration zu erkennen und nicht zu stören.

Eine »vorbereitete Umgebung« ist das, was die Kinder und Jugendlichen als Rahmen für ihre Entwicklung in der Schule vorfinden. Dazu gehören Materialien, speziell ausgebildete Pädagogen und ein zeitlicher und organisatorischer Rahmen.

Materialien

Die klassischen Montessori-Materialien, die die Schüler und Schülerinnen vorfinden,  sind:

  • Sinnesmaterial
  • Materialien für die Fachbereiche: Mathematik, Geometrie, Sprache/n, Biologie, Geografie, Natur- und Menschheitsgeschichte, Kunst, Musik, Physik, Chemie
  • Materialien für die Übungen des täglichen Lebens
  • Experimentier- und Kreativmaterial

Neben den Montessori-Materialien gibt es Bücher und Nachschlagewerke in der Bibliothek, technische Geräte und Ausstattung in den naturwissenschaftlichen Bereichen sowie handwerkliches und künstlerisches Material und Werkzeug in den Werkstätten.

Wie den Räumen selbst werden auch ihren Teilbereichen Funktionen zugeordnet.

Die für die Kinder wichtigen Materialien befinden sich in von ihnen gut erreichbarer Höhe und sind in einem offenen Regalsystem überschaubar geordnet.

Meist entscheiden die Kinder und Jugendlichen selbst, wo sie lernen möchten. Im Lernraum  gibt es Tische, Arbeitsteppiche, Leseecken und ein Zentrum: den runden Teppich. Er ist Treffpunkt für Spiele, Gespräche, Lieder und gemeinschaftliche Aktionen. Darüber hinaus gibt es im gesamten Schulgebäude weitere Lernbereiche.

Außerschulische Lernorte

Die Kinder und Jugendlichen lernen nicht nur in Gruppenräumen, Fachkabinetten, der Bibliothek oder Werkstätten. Auch ein grünes Klassenzimmer im Garten, der angrenzende  Wald, die Stadt, ihre Museen und vieles mehr kann zum Lernort werden. Die Pädagogen begleiten die Kinder individuell in ihrem Lernprozess und geben geeignete Impulse für Themen und Arbeiten. So stellen Sie einen selbstbestimmten Lernprozess sicher und sorgen dafür, dass Kinder ihre Potentiale immer weiter entfalten.

Die Mischung macht’s

Maria Montessori beobachtete, dass sich Kinder in altersgemischten Lerngruppen eher zu sozialen und verantwortungsvollen Menschen entwickeln. Denn in der Jahrgangsmischung haben sie mehr und besondere Möglichkeiten, von- und miteinander zu lernen.

Sie erfahren sich in immer wieder wechselnden Konstellationen. Das verhindert die Fixierung auf eine bestimmte Rolle und macht flexibel. Was wiederum einer bereiteren Entfaltung ihrer Persönlichkeit zugutekommt. Auch Hierarchien nach Leistung und Konkurrenzverhalten werden durch die Altersmischung abgeschwächt, altersspezifische Besonderheiten und Probleme verringert.

Alles hat seine Zeit

Durch die fließenden Übergänge werden Kinderhaus und Schule den individuellen Bedürfnissen eines jeden Kindes gerecht. Sie ermöglichen einen Entwicklungs- und Lernprozess ganz im eigenen Tempo. Zeitliche Verschiebungen eines Wechsels in die nächst höhere Jahrgangsmischung sind immer eine Option. Die Pädagogen beobachten und analysieren Voraussetzungen und Erfolge. So ist es auch möglich, Schülerinnen und Schüler mit besonderen Bedürfnissen, wie Hochbegabung, sonderpädagogischem Förderbedarf oder nichtdeutscher Herkunftssprache in den normalen Schulalltag einzubeziehen.

Maria Montessori beobachtete, dass es Phasen gibt, in denen Kinder für ganz bestimmte Erfahrungen ganz besonders offen sind. In diesen Zeiträumen richtet sich die Aufmerksamkeit des Kindes auf einzelne Bereiche seiner Umgebung. Es lernt dann mit Lust und Leichtigkeit bestimmte Fähigkeiten in diesen Bereichen, die es zu anderer Zeit nur mit viel Mühe und willentlicher Anstrengung erlernen könnte.

Jedes Kind kann seinem Temperament und seinem inneren Rhythmus entsprechend lernen und arbeiten, erkannte Montessori. Die Offenheit für Erfahrungen teilte sie in vier Zeiträume ein, die sie »die sensiblen Phasen« nannte. Die Altersspanne ist dabei als ungefähr, nicht statisch zu betrachten.

Phasen der kindlichen Entwicklung

  1. Zeit des Aufbaus (0-6 Jahre) – Kinderhaus

Diese Phase wird auch als »Der absorbierende Geist« bezeichnet. In diesem Zeitraum ist das Kind sehr sensibel für die Entwicklung der Motorik, der Sensorik, der Sprache und des Ordnungssinns. Der Tagesablauf, die Materialien und die räumliche Organisation des Kinderhauses bieten diesem Abschnitt entsprechende Lern- und Entwicklungsanreize, fördern die Grob- und Feinmotorik und sind auf die Sinnes- und Sprachentwicklung abgestimmt.

  1. Zeit des Ausbaus (6-12 Jahre) – Schule des Kindes

In der zweiten Entwicklungsphase ist die Sensibilität der Kinder für die Erfahrung der realen Umwelt, für die Entwicklung des Abstraktionsvermögens, des Gewissens sowie der Moral besonders hoch. Kinder dieses Alters zeigen ein intensives Bedürfnis, die Zusammenhänge der Welt zu erkennen und die Gründe des Seins zu erforschen und zu durchschauen. Sie möchten moralische Wertungen wie »Gut und Böse« im gemeinschaftlichen Zusammenleben neu erfahren.
 In der Schule treten das fächerübergreifende Lernen in unterschiedlichen Sozialformen und der Umgang mit realen Materialien in den Vordergrund.

  1. Zeit des Umbaus (12-18 Jahre) – Erdkinder

Diese Entwicklungsphase ist gekennzeichnet durch das Bedürfnis der Heranwachsenden, einerseits Selbstvertrauen durch eigene schöpferische Tätigkeit zu entwickeln und andererseits den Schutz und die Geborgenheit in einer sozialen Gemeinschaft (Peergroup) zu erfahren. Die Individualisierung der eigenen Person geht unter Umständen mit einer starken Abgrenzung zu Teilen des sozialen Umfeldes einher.

  1. Reifung (18-24 Jahre) – Erfahrungsschule des Sozialen Lebens

In der vierten Entwicklungsphase reift die Persönlichkeit der Jugendlichen. Sie vervollkommnen die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen und für deren Konsequenzen einzustehen. Die erworbenen (Er-)Kenntnisse werden genutzt, um für sich selbst und andere zu sorgen. Sie erlangen das Potenzial, eine eigene Familie zu gründen.

Quelle: Montessori-Stiftung Berlin (https://montessori-stiftung.de/unser-ansatz/)